Zum Tod von Brigitte Schwaiger. Eine Erinnerung. 

(Brigitte Schwaiger 1949 – 2010)
Von Marlene Weiterschan

"Es kommt nie jemand zu dir, wenn du psychisch krank bist"
"Wen will ich belehren, wem etwas erzählen? Ich möchte die Menschen zum Sprechen bringen, die das schon einmal erlebt haben." Brigitte Schwaiger war von uns zum Welttag Stimmenhören 2006 eingeladen, aus ihrem letzten Buch "Fallen lassen" zu lesen. Sie hatte den Mut, über das repressive Milieu ihrer Kindheit, über ihre Erfahrung als Psychiatriepatientin, über Stimmenhören und Depressionen zu schreiben.


In "Fallen lassen" schildert Brigitte Schwaiger nach Jahren des Nicht-Schreibens "zum Erstaunen der Literarischen Welt" ihre Erfahrungen als Psychiatriepatientin und Stimmenhörerin: Das Erschrecken über und die Belastung durch die Stimmen, ihren Widerstand gegen das Gehorchen der fremden Stimmen, die Mühen, das Leben nach der Psychiatrie zu bewältigen und ihr Schreiben als Ausbruch. Brigitte Schwaiger stammte aus Freistadt (OÖ) und erlangte 1977 mit ihrem ersten Roman "Wie kommt das Salz ins Meer" bei einer großen LeserInnenschaft begeisterte Zustimmung und Anerkennung.
Ihr Leben als Psychiatriepatientin ist das Thema ihrs letzten Buches: Das Pendeln zwischen der psychiatrischen Anstalt und ihrer Wohnung - nirgends Trost und Geborgenheit. Sie gibt uns eine Ahnung davon, was es heißt, als Psychiatriepatientin zu leben, Depression, Sucht und Suizidversuche, die Bitterkeit über das Altwerden, das Gefühl völligen Verlassenseins, die Armut als Sozialhilfe-Empfängerin und die bedrückende Überzeugung, als Psychiatriepatientin ein minderer Mensch zu sein.

Brigitte Schwaiger litt an der Härte und der kleinbürgerlichen Enge in der Stadt, an den vielen Kränkungen, an der Einsamkeit: "Wir Psychotiker sind die einsamsten Menschen der Welt, weil wir ständig etwas glauben, was fast nie wahr ist, weil uns ständig Sorgen quälen, die irreal sind oder übertrieben oder fehl am Platz….", schreibt Schwaiger in "Meine schöne Welt" (Die Presse, 2005). Sie hat keinen Ausweg gefunden und ihr Leben beendet. 

Wir vermissen eine mutige Frau, die wagte, über das repressive Milieu ihrer Kindheit und Jugend, über ihre Erfahrung als Psychiatriepatientin, über Stimmenhören und Depressionen zu schreiben.

Marlene Weiterschan, am 2. August 2010

Stimmenhören. Das erste Mal bin ich erschrocken. Es war im Jahr 1997. Wer hat Einblick in meine Gedanken, Zugang zu meinem Kopf, dachte ich. Wann kommt die Stimme wieder? Ist das der Teufel, der in mich hineinschaut, der meine Gedanken kennt, meine Wünsche? Ich fühle mich durchschaut, verfolgt, belästigt, ich wusste nicht, wann die Stimme sich wieder melden würde. (Brigitte SCHWAIGER, 2006: "Fallen lassen", Seite 25; Czernin Verlag, Wien.)