Im Kreuzfeuer der Unterdrückung – Wut, Hass, Neid & Co

 

„Aus zuverlässiger Quelle weiß ich, dass das von unserer Gesellschaft geforderte Streben nach Perfektion dazu führen kann, dass der Einzelne kaum noch zum Atemholen kommt. Von frühester Kindheit an, leben viele mit der Erwartung, perfekt sein zu müssen und ohne ein Recht, ihre wahren Gefühle ausleben zu können. Schuldgefühle, Selbstverachtung und mangelndes Selbstvertrauen führen zu dem zwanghaften Wunsch, sich entmutigt aufzulösen und zu verschwinden.“

 

 

 

Diese Rede, die Prinzessin Diana einst hielt, spricht mir wirklich aus der Seele. Ich dachte nämlich auch immer, dass ich aufgrund des Ungestümen, Launischen, Chaotischen und Wandelbaren meiner Gefühle schlecht oder sogar böse und einfach unausstehlich wäre.

 

 

 

Von klein auf wurde mir dies eingeredet und ich befinde mich seit fast vier Jahrzehnten in diesem Gefängnis, zumal alle Erfahrungen, die mir widerfuhren, dieses Unrecht untermauerten und mich in diesen Kreislauf einkerkerten, nicht zuletzt die Jahre der forensischen Gefangenschaft, aber auch die der Nachbetreuung. Keiner ermutigte mich, aus mir herauszugehen und ich selbst zu sein, es war nur gewünscht, dass alle Termine absolviert wurden und man möglichst unkompliziert und pflegeleicht war. Jedoch die Probleme, die ich mit meinen Gefühlen, allen voran mit meiner Wut hatte, wurden nicht mal an der Oberfläche berührt, im Gegenteil, man suggerierte mir nur nur, dass ich sie weiterhin unterdrücken sollte.

 

 

 

Erst seit Ende meiner Betreuungszeit mache ich im Rahmen meiner Psychotherapie Schritte aus diesem Desaster, sehr kleine, zaghafte Schritte zwar, aber immerhin. Es ist ein jahrzehntelanger Prozess bei mir, dass ich verstehen lernen darf, dass ich nicht perfekt sein muss, dass nicht alle Gefühle nur lieb und freundlich sein müssen, sondern dass ich meine Gefühle authentisch fließen lassen und ausdrücken darf. Ich bin noch immer so in der Defensive, selbst beim Schreiben dieser Zeilen glaube ich, dass ich mich rechtfertigen muss, weil ich eigentlich schlecht sei.

 

Keine Beichte abgeben, sondern Selbsterforschung zugänglich machen

 

Dennoch weiß ich seit einiger Zeit, dass ich nur dann Bewusstsein erlangen kann und mich kennenlernen kann, wenn ich bereit bin, in meine seelischen Tiefen hinabzusteigen. Oftmals, ich glaube, das kennt jeder von sich, nervt es mich so, bei anderen Eigenschaften und Gefühle wahrzunehmen, für die ich mich selbst hasse. Für Neid, Jähzorn, Ungeduld, Egoismus ,…usw.

 

Ich dachte immer, dass andere besser sind als ich und hatte furchtbare Angst, was sie von mir halten. Zudem habe ich vor allem neidische Menschen scharf abgewertet, weil ich das Gefühl Neid, wenngleich ich wusste, dass es aus meinem Minderwertigkeitskomplex kam, nicht an mir akzeptieren konnte. Hass, Eifersucht, Neid und Gier sind für mich mentalisierte Gefühle, das heißt, sie entspringen aus Gedanken, häufig aus einem Sich-Vergleichen mit anderen.

 

Heute ist mir hingegen bewusst, dass wir alle „menscheln“ und dass in uns alle die gleichen Abgründe lauern können. Auch diejenigen, die sich extrem kontrollieren und der Meinung sind, ihre Gefühle im Griff zu haben, können von Lebensumständen und -erfahrungen überrollt werden und die Kontrolle verlieren.

 

 

 

Ich will niemanden anprangern, weder die, die mich unterdrückt haben, noch mich selbst, da ich weiß, dass wir alle die gleichen Anteile in uns tragen. Tief in uns tragen wir alle die Möglichkeit mit uns, Verbrechen zu begehen, ein Mörder, Vergewaltiger, Kinderschänder, Nazi, Ausländerfeind und noch vieles mehr zu sein. Davon ist niemand ausgenommen, nur wissen viele darüber nicht Bescheid.

 

Ich kenne das eben auch von mir, dass wenn ich beobachte, dass ein Ausländer aus der Rolle fällt und etwas falsch macht, ich manchmal wütender bin, als bei einem Inländer. Oder dass Gefühle in mir hochkommen, dass Ausländer ganz brav und angepasst sein sollten und auch immer nur lieb sein sollten ohne Aggressionen. Ab und zu ertappe ich mich dabei und dann versuche ich es zu reflektieren und mich wieder runterzuholen. Wie gesagt, keiner ist von irgendetwas ausgenommen, auch ich nicht.

 

Vorurteile unter die Lupe nehmen

 

Was ich ebenso an mir beobachtet habe, ist die unweigerliche Tendenz zu Vorurteilen. Oft denke ich mir, dass jemand unsympathisch oder einfach blöd sei, weil ich unsicher bin. Wenn man dann mit der Person ins Gespräch kommt, revidiert sich diese Anschauung oftmals. Ich habe mir Konzepte, Systeme und Prinzipien geschaffen, aufgrund derer ich andere schubladisiere, Ansichten zurechtgezimmert, die mir Sicherheit und Halt geben. Zum Beispiel glaube ich, dass der Beruf eines potentiellen Partners etwas darüber aussagt, wie seriös er ist. Wenn er einen seriösen Beruf hat, erliege ich der Illusion, dass er behutsam mit mir umgeht. Aber stimmt das tatsächlich? Vielleicht stimmt es bei manchen oder sogar bei vielen, aber sicher nicht bei allen. Meine Prinzipien halten mich oftmals davon ab, Menschen kennenzulernen, den individuellen Menschen hinter meinen Vorurteilen zu erkennen und mich einzulassen. Doch wenn man jemanden kennenlernt und man entdeckt so viel Liebenswürdiges, dann zählt meistens ja nicht mehr die Schublade, sondern es zählt der Mensch dahinter. Wäre es nicht viel schöner, die Systemgebäude einstürzen zu lassen und sich wirklich auf das Leben einzulassen, mit allen Risiken, die dazugehören? Wenn nur die Angst nicht wäre …

 

Die Sehnsucht nach Freiheit

 

Meine Angst meine Entscheidungen treffen zu lassen, macht mich unfrei und unglücklich. Trotzdem will ich mir Zeit geben, ich vertraue darauf, dass sich die Dinge in meinem Leben positiv entwickeln können, ich hoffe, dass ich genügend Zeit habe und bin sehr zuversichtlich.

 

 

 

„Wer sich nach Licht sehnt, ist nicht lichtlos, denn die Sehnsucht ist schon Licht:“ (Bettina von Arnim)

 

Dieses Zitat bedeutet mir sehr viel. Ich dachte ja immer, dass ich schwierige Gefühle vollkommen ruhig, gelassen und cool meistern müsste und bemerkte häufig nicht, wie ich mich selbst dabei geißelte. Und schließlich platzte meine Wut wieder so unwirsch aus mir heraus, dass ich mich erst recht erneut dafür hasste und verurteilte, weil meine Reaktion nicht meinen Idealen entsprach.

 

Ich habe einfach ein hauchdünnes, hyperempfindliches Nervenkostüm, das gilt es anzuerkennen. Es beinhaltet auch sehr viel Schönes, so tief empfinden zu können. Ich glaube mittlerweile, dass wahre Gelassenheit nicht aus einer Unterdrückung der unliebsamen Gefühle kommt, sondern im Gegenteil dadurch entsteht, dass man sich ihrer bewusst ist und sich ihnen stellt und sie umarmt.

 

Das, was man verändern will, darf zuerst einmal angenommen werden. Somit möchte ich ALLES anerkennen, was in mir ist, indem ich bis zum Boden meines Brunnens vordringe und dort meine Zelte aufschlage und mich studiere, um daraufhin das Licht noch stärker spüren zu können.

 

Ich will Mut machen …

 

Ich möchte mir selbst und andern den Rücken stärken und das Durcheinander unserer Gefühle, das wir, so denke ich, alle manchmal verspüren, in Schutz nehmen. Natürlich hoffe ich, dass ich eines Tages ruhiger damit umgehen kann, in mir selbst ruhe, wohingegen ich jetzt immer wieder mit all dem Negativen konfrontiert bin, das in mir hochkommt. Diejenigen, die wirklich spirituell gesammelt sind und hohes Bewusstsein erlangt haben, würden sich meiner Meinung nach niemals erhöhen über jemanden, der das noch nicht geschafft hat, sondern wissend verstehen.

 

 

 

Ich verstehe es auch, wenn sich bei jemandem etwas sträubt, so in die Tiefe zu gehen und den eigenen Schatten, die eigene Dunkelheit anzuschauen. Es ist in Ordnung, wenn manche dies gar nicht verstehen, jeder darf so sein wie er ist. Jeder ist im Augenblick gut, so wie er ist.

 

Und selbst wenn wir noch so ungeduldig, boshaft, neidisch, geizig und vieles mehr sind, wir sind gut, wir sind o.k., wir sind richtig!!! Vergessen wir nicht, uns auf die Schulter zu klopfen und uns im Spiegel ein Lächeln zu schenken!

 

 

 

 

 

Liebe Grüße,

 

Barbara Koller

 

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