Wie kann die Forensik menschlicher werden? – Reformvorschläge für den Maßnahmenvollzug Teil 1

 

In meinem Buch „Das Universum in meinem Herzen“ beschreibe ich unter anderem meine vor ungefähr zwölf Jahren stattgefundene Inhaftierung auf einer forensischen Station. Aufgrund einer „Gefährlichen Drohung“ und „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ wurde ich damals dort beinahe zwei Jahre lang angehalten. Es war für mich, bevor ich dort hinkam, unvorstellbar, dass es im 21. Jahrhundert in einem Land wie Österreich eine staatliche Institution gibt, in der die Menschenrechte dermaßen außer Kraft gesetzt sind wie in einer forensischen Anstalt. Und dies alles, obwohl ich nicht das Gefühl hatte, dass ich meine Situation bewusst verschuldet hätte. Wenngleich es anfangs nur um meine eigenen Erfahrungen und Erlebnisse ging, so ist jetzt der Wunsch in mir erwacht, andere einen Einblick in diese zu gewähren und darüber hinaus über Verbesserungsmöglichkeiten im Hinblick auf diesen so sensiblen Bereich des Strafvollzugs zu reflektieren. Ich habe die Themen in folgende Punkte gegliedert:

PatientInnenanwaltschaft

Da auf einer forensischen Station wegen der Ungewissheit der Haftdauer keine Patientenanwaltschaft zuständig ist, sind die Patienten der ganzen Schärfe der Maßnahme hilflos ausgeliefert, sie haben niemanden, der sich für ihre Anliegen und Rechte einsetzt oder gar ein offenes, unvoreingenommenes Ohr für ihre Fragen hat. Meiner Auffassung nach wäre es unabdingbar, dem Patienten auch einen Patientenanwalt zur Seite zu stellen, der als Vertrauensperson und Interessensvertreter fungieren soll. Dieser soll auf jeden Fall auch die Autorität zugesprochen bekommen, sich gegen die von mir oft als willkürlich empfundenen Entscheidungen der Ärzte durchsetzen zu können, kann also auch eine Kontrollinstanz für diese sein. Zudem sollte er bei Teamsitzungen des therapeutischen Personals, wo über den Patienten entschieden wird, gemeinsam mit dem betreffenden Patienten zugegen sein können. Dies sollte eigentlich so selbstverständlich sein, ist es aber noch immer nicht. 

Medikamente

Leider hat ein forensischer Patient noch immer kein Mitbestimmungsrecht bei seiner Medikation, hier werden die Menschenrechte ebenfalls gnadenlos missachtet. Er kann weder entscheiden, ob er die Medikamente nimmt (wenn er sie nicht nimmt, droht man ihm mit Infusionen), noch kann er bei der Art und Dosierung mitreden, ungeachtet dessen, welche Nebenwirkungen er hat und welche Probleme er tatsächlich hat. Denn es gibt keine forensische Therapie ohne Medikation. Hinzukommend wird die psychische Krankheit mit einem Medikament nicht gelöst, sondern „überdeckt“. Die Symptome werden zu eliminieren versucht, ohne dass die Ursache, das Trauma des Patienten erforscht werden. Wie soll der Patient daran glauben, dass alles wieder gut werden kann und er geheilt werden kann, wenn die Ärzte ihm einreden, er müsse die Medikamente für immer nehmen? Der Patient ist ein autonomes Wesen und nicht Besitz oder Forschungsobjekt der Ärzte und er sollte auch so behandelt werden, in ihm selbst liegt der größte, ureigenste Schlüssel zu seiner Wahrheit, zu seiner Gesundheit, nicht im Außen. Außerdem sind die Ärzte keine Hellseher und können absolut nicht wissen welche tiefgreifende, außergewöhnliche Reifung, welche unendlichen Selbstheilungskräfte aus einer psychischen Krankheit entstehen und erwachsen können. Jedes Schicksal ist doch so individuell. Meiner Ansicht nach sollten Medikamente die allerletzte „Hilfsmöglichkeit“ darstellen für ein psychisches Problem, nicht die systematisch erste. Und das Thema „Zwangsmedikation“ müsste neu diskutiert werden, in Anbetracht dessen, dass zuerst das gesamte Therapieangebot ausgeschöpft sein sollte, bevor ein Medikament überhaupt (und wenn dann gemeinsam mit dem Patienten!) in Betracht gezogen wird. Aber dazu müsste auf der Forensik ein zielführenderes, vielfältigeres Therapiespektrum ausgebaut und erweitert werden. Womit ich beim nächsten Thema wäre.

Therapien

 

Die Therapiechancen im Maßnahmenvollzug sind nicht nur sehr mangelhaft und oberflächlich, sie sind teilweise auch unangemessen. Die Psychotherapie beispielsweise ist sehr fadenscheinig, da die Psychotherapeuten Teil des therapeutischen Teams sind und so ihre Objektivität nicht sichergestellt ist. Sie haben das Recht, auch Details, die irrelevant in Bezug auf die Gefährlichkeit des Patienten sind, in Teamsitzungen weiterzugeben. Durch diesen Umstand sieht sich der Patient nicht selten wie David gegen Goliath gegenüber diesem Team. Eingefahrene, engstirnige Glaubenssätze und Denkmuster sind keine Seltenheit bei forensischer Behandlung. Unorthodox ist außerdem, dass die Patienten Therapien wie Müllsammeln auf dem Krankenhausareal oder die Arbeit in einem Sozialcafé für einen Euro in der Stunde absolvieren müssen, wohingegen das kreativ künstlerisch schöpferische Potential der Patienten kaum gefördert wird. Meiner Meinung nach sollte es ein tiefenpychologisches Angebot geben mit Traumatherapie, Brainspotting, positiver Umgang mit Aggressionen und vielem mehr. Weiters sollten eine Schreibwerkstatt, eine Theaterwerkstatt, eine Psychodramagruppe, eine Wahrnehmungsgruppe und eine Sensorische Integration, eine Musiktherapie und Physiotherapie, ein philosophischer und spiritueller Kreis angeboten werden. Denn die Ergotherapie alleine ist definitiv nicht ausreichend. Ich traue mir zu sagen, dass so gut wie jeder forensische Patient ein Trauma erlitten hat, sonst wäre das Delikt ja nicht passiert. Darauf wird aber seitens des Personals kaum eingegangen, vielmehr wird der Patient zu einem braven, willenlosen Ja-Sager dressiert, der natürlich weiterhin mit seiner Wut nicht umgehen kann, sondern sie oftmals unterdrückt.  Viele der Patienten kompensieren dieses Unterdrückt-Sein mit Süchten, was meistens dramatische Folgen hat. Deswegen sollten sie die unbedingte Gelegenheit bekommen, mittels Therapie ihre Aggressionen in positive Bahnen zu lenken, sie konstruktiv ausdrücken und transformieren zu lernen und sich in ihrer individuellen Einzigartigkeit entfalten und verwirklichen können. Man versucht meiner Erfahrung nach mit Einschüchterung und Medikation die Patienten ruhig zu stellen und gefügig zu machen, anstatt ihnen durch Wertschätzung und Respekt zu helfen.

Liebe und wahrhaftige Begegnung statt Stufenplan

Als ich damals auf die forensische Station kam, gab es einen Stufenplan, der mir wie ein geistiges Relikt aus einem früheren Jahrhundert erschien. Somit war ich ganz am Anfang auf Stufe 0, das heißt, ich war vollkommen entrechtet. Ich durfte weder in die frische Luft gehen, noch Privatkleidung tragen. Ich musste hingegen ein halbes Jahr lang Anstaltskleidung, also einen Krankenhauspyjama tragen. Wie degradierend und herablassend das anmutet, wenn man in Stufen eingeteilt wird, liegt auf der Hand. Vermutlich sollte dies bewirken, dass der Patient durch Härte und Strenge „erzogen“ wird, dazu gezwungen ist, sich zu unterwerfen und die Ambition entwickelt, sich durch Einsichtigkeit aus der Stufe 0 freizukämpfen. Bei mir wirkte sich dieser Stufenplan äußerst verheerend auf mein Selbstwertgefühl und mein Selbstvertrauen aus, ich hatte das Gefühl, ich sei nur eine Nummer und zwar eine Null. Die Situation war wie in einer  inhumanen, altertümlichen Erziehungsanstalt eben. Nicht nur die Liebe zum Patienten fehlte, die heilsam hätte sein können. Auch Verständnis und sogar Höflichkeit vermisste ich sehr. In diesem Zusammenhang fällt mir eine sehr zutreffende Bemerkung ein, die ich einmal gehört habe: „Wer die Menschen nicht liebt, kann ihnen auch nicht helfen!“

Wechsel des forensischen Personals

Ich persönlich denke, dass es viele forensische Anstalten gibt, wo das gesamte therapeutische Team und Personal ausgewechselt werden sollten. Die einfältige, herrschsüchtige Mentalität, die den Patienten von vornherein absolut ins Unrecht stellt, wäre damit unterbrochen. Selbstreflexion, Supervision und Meditation sind meiner Anschauung nach auch für das Personal das Um und Auf. Häufig erlebte ich damals Pfleger, die neu auf die Station kamen und voller Idealismus waren. Doch schon nach kurzer Zeit holte die krankhaft abwehrende Haltung der anderen Pfleger, die diese gegenüber den Patienten zeigten, sie ein und sie verließen die Station entweder wieder oder passten sich unglücklicherweise an. „Jeder, der auch nur ein bisschen natürlich ist, ist früher oder später nicht mehr da“, sagt Frau Dr. Regina Möckli in Forensische Psychiatrie Teil 1 und 2 dem Sender “Free Spirit TV“(zu sehen auf youtube). Eine treffende Äußerung.  

Überhaupt halte ich es für extrem wichtig, dass das Personal auf der Forensik alle 2-3 Jahre wechseln sollte, um der Abstumpfung, der Verrohung und dem unreflektierten Sadismus entgegenzuwirken, die auch jedem Menschen passieren können, wenn sie/er dort arbeitet, weil immer für jedes Verhalten die Lebensumstände ausschlaggebend sind. Wenn man mit Patienten arbeitet, die aggressiv sind (ich habe keine Patienten kennengelernt während meiner Haft, die aggressiv waren, aber solche Fälle gibt es natürlich), dann kann man als Bediensteter auf der Forensik auch ein psychisches Problem entwickeln und zwar ohne, dass man es bemerkt. Ehe man sich versieht, hat man auf die dunkle Seite seiner Persönlichkeit gewechselt, kommandiert und schikaniert ungehemmt, und ist aber dann in der Machtposition. Das hat wirklich fatale und erschreckende Auswirkungen. Diese Brutalität zeigt sich vor allem bei den Fixierungen. Es ist furchtbar, wenn Menschen Opfer dieses starren und rigorosen Systems werden. Wir sind schließlich alle auch Teile voneinander, keiner kann sich glaube ich, immer so weit abgrenzen, dass der destruktive Funke nicht auch zu ihm überspringen kann.


Ich hoffe sehr, dieser Beitrag hat euer Interesse geweckt, dieses Thema ist nicht gerade ein unkomplizierter Sachverhalt, keine „leichte Kost“, das ist mir bewusst. Es wird meistens eher vermieden, darüber zu sprechen oder sich auszutauschen, ja es wird regelrecht unter den Teppich gekehrt. Umso mehr Grund für mich, ihm Raum und Platz zu geben, indem ich darüber schreibe. Nächstes mal gibt es den 2. Teil, ich freue mich total, wenn ihr wieder daran Anteil nehmt!

 

 

Alles Liebe,

 

Barbara

Kommentar schreiben

Kommentare: 0