Das Liebeswahntrauma — Gefängnis und Begeisterungstaumel zugleich

Ich möchte heute über eine Thematik schreiben, die mich trotz 22 Jahre langer, unentwegter Psychotherapie immer noch begleitet.

Faktum bei mir ist, dass ich die Schwärmphase der Pubertät nie verlassen konnte, obgleich sich die Symptomatik deutlich verändert hat — mein Liebeswahn ist wesentlich leichter und einfacher für mich geworden.

Begonnen hat alles in der Schulzeit, in der ich mich todunglücklich, einsam und verlassen fühlte. Irgendwann fing ich an, meine Sehnsüchte auf einen Lehrer zu projizieren. Infolgedessen konnte ich in seiner Unterrichtsstunde kaum mehr sprechen oder eine Wiederholung ablegen, weil ich in seiner Gegenwart so nervös war. Irgendwann kam ich nur mehr sehr selten zur Schule, ich dachte einfach immer, dass ich dumm wäre und nicht gut genug, ich sah alle anderen so weit über mir. Schließlich gestand ich nach der Matura meinem Lehrer meine Gefühle für ihn, was ihm, denke ich, schon schmeichelte, aber letztendlich entschied er sich gegen mich. Er sagte zu mir: „Du siehst etwas in mir, das ich nicht bin.“. Doch dies war fernab meiner Vorstellungskraft, ich dachte einfach, er würde erkennen, dass ich nicht gut genug wäre und mich deswegen abweisen.

Die ganzen Bewertungen und meine verklärte Wahrnehmung beherrschten mich jahrelang.

Den Menschen, die sich wirklich für mich interessierten, schenkte ich überhaupt keine Beachtung, ich war nur auf ihn fixiert. Überdies dachte ich, dass ich nur dann etwas wert „werden“ könnte, wenn ich seine Liebe für mich gewinnen würde. Beihnahe jeden Abend fragte ich meine Wohnungskollegin im Studentenwohnheim, ob sie sich vorstellen könnte, dass er irgendwann doch noch erkennen würde, dass ich seine große Liebe wäre und sich für mich entscheiden würde. Daraufhin antwortete meine Kollegin jedesmal:"Barbara, es sind schon ungewöhnlichere Dinge passiert!", was mein Herz für einen Augenblick höher schlagen ließ, ich klammerte mich an diesen Strohhalm. Sie wollte mich, glaube ich, aufbauen, weil sie spürte, was für mich dran hing. Ich schickte ihm ein Video mit zusammengeschnittenen Szenen aus einer Serie und schaute mir dieses Video jeden Tag mindestens 30-mal an, bis es irgendwann den Geist aufgab. Zudem weinte ich täglich stundenlang und wollte sterben, dieser Zustand dauerte mehrere Jahre an. Ich überlegte mir, ganz im Film- und Serienfieber verschwunden, hochdramatische Szenen, wie ich ihn für mich gewinnen könnte. Was müsste passieren, dass er, der eisern zurückweisend blieb, wieder ein Herz für mich hätte? Wie könnte ich dieses Herz aus Stein erweichen? — darüber zerbrach ich mir viele Jahre den Kopf. Ich malte mir filmreife Szenen aus, dass ich zum Beispiel im Sterben liegen würde und ihn dann anrufen würde, um ihn ein letztes Mal zu sehen, und wäre er dann überhaupt zu Besuch gekommen? Ich war der ewige Trauerkloß, der aus dem Drama einfach nicht herausfand. Ich schaute mir zusätzlich zum Video noch andere Filmszenen dauerhaft an, zum Beispiel:“ I’ll be seeing you scene from Shining through“( zu sehen auf Youtube),  in der die Spannung, ob eine Frau ihre große Liebe bekommt, ob sie ihn überzeugen kann, mich bis in Mark und Bein fesselte und bewegte. Unglücklicherweise überlegte und erfühlte ich nicht, wer zu mir passen würde, sondern wie ich sein müsste, um zu ihm zu passen. Überall, wo ich war, dachte ich nur an ihn, wenn ich mit jemandem sprach, stellte ich mir vor, dass er anwesend wäre, das versetzte mich in Hochstimmung und Freudensturm. Zu diesem Zeitpunkt studierte ich Psychologie, allerdings nicht um Psychologin zu werden, sondern damit ich für ihn gebildet wäre. So klein machte ich mich, jetzt kommt mir das wirklich absurd vor.

Ich inszenierte diese hochintensive, tragische Erfahrung noch mit vielen anderen Menschen, denen ich meine Liebe schenken wollte, ich kreierte sie regelrecht, jedoch unbewusst. Und dann hieß es Leiden ohne Ende. Ich fühlte mich dem Leiden, meinem Schicksal ausgeliefert, erkannte nicht, dass ich es selbstverantwortlich gestalten konnte, ich hatte keine Kraft dazu.

Mein Selbstwert war total am Boden, ich fühlte mich in der Opferrolle, in der Position des „armen Ich“ gefangen.

Symbiose…

„… heißt im psychologischen Sinne die Vereinigung eines individuellen Selbst mit einem anderen Selbst … wobei jeder die Integrität des eigenen Selbst verliert und einer vom anderen abhängig wird. Dahinter steht der Wunsch nach Auflösung des eigenen Selbst in einer anderen Person, um aus Isolations- und Ohnmachtsgefühlen herauszukommen.“ (Definition von Erich Fromm aus dem Buch „Symbiose und Autonomie“ von Franz Ruppert)

Weiters fährt Ruppert fort: „Manche Menschen akzeptieren es nicht, von einem anderen abgelehnt zu werden, auf den sie sich in ihrer symbiotisch verstrickten Liebe fixiert haben. …

Auch dahinter stecken Kindheitsdramen, bei denen die Eltern für ein Kind nicht erreichbar waren, das Kind sich jedoch wahnhaft die Liebe seiner Eltern ausgemalt hat. In seiner Fantasie war seine eigene Liebe so groß, dass ihr auch die Zurückweisung durch die Eltern nichts anhaben konnte. Wenn jemand aus so einem Überlebensanteil erwachen und die Realität erkennen würde, würde die ganze Misere seiner Lebensgeschichte schmerzhaft offenbar. Das meinen seine Überlebensanteile nicht aushalten zu können und bleiben deshalb lieber in der Realitätsverleugnung und im Wahn verhaftet.“

 

Stets identifizierte ich mich mit der Rolle der „Charlotte“ in „Meerjungfrauen küssen besser“, gespielt von Winona Ryder, ich suchte immer nach Filmfiguren, mit denen ich mich identifizieren konnte, um nicht allein zu sein. Ob es nun Brooke in „Reich und schön“ war, die Ridge hinterherschmachtete oder Brenda Dylan in „Beverly Hills 90210“, für mich war die Filmewelt das willkommene Versteck. Bei Brenda und Dylan ging es ja auch um die Abnabelung vom Elternhaus, nachdem Brenda als 17-jährige ihr Elternhaus kurzzeitig verließ, um bei Dylan einzuziehen, sagte sie zu ihm: „Ich kann heute Nacht nicht bei dir schlafen.“ Daraufhin meint Dylan: „Warum nicht?“ Brenda: „Ich weiß, ich werde neben dir liegen und wenn ich die Augen schließe, werde ich das Gefühl haben, meine Eltern sehen mich an. Weißt du, ich komm‘ einfach nicht von ihnen los …“

 

Immer noch sehr berührend für mich.

Bridget Jones und Mr.Darcy

Ich hatte und habe immer dasselbe Beuteschema: Unnahbare, unerreichbare, zugeknöpfte, formelle, versnobte Schnösel, die mit ihrer Distanz mein Herz im Sturm eroberten. Ich, diese kindliche, crazy, unbeholfene, liebeshungrige und zutiefst liebenswürdige Bridget Jones auf der Suche nach ihrem Mr. Right, einem kühlen, toughen und gesetzten Mr.Darcy. Die Distanz finde ich sehr aufregend, es ist so, als ob ich die Nuss knacken will mit einem lockeren Spruch auf den Lippen: „Ich finde, du gehörst aufgelockert und ich finde, ich bin die Richtige für den Job!“

Es gibt einen Mann, den ich liebe, aber meine Gefühle nie gestehen konnte, weil ich nie vor irgendjemandem so viel Angst hatte und habe, wie vor ihm. Auf ihn bezieht sich dies. Er ist seit so vielen Jahren mein „Wunsch-Mr.Darcy“.

Stimmenhören und Liebeswahn

Auch in Bezug auf die männliche, liebevolle Stimme, die ich hörte und höre, entwickelte ich einen Liebeswahn. Denn es kam der Punkt, da ich von all den Enttäuschungen die Nase so gestrichen voll hatte, dass ich mich meiner positiven Stimme zuwandte, in der Hoffnung, meine Träume endlich erfüllt zu bekommen. In meinem Nähebedürfnis anerkannt zu werden. Ich sah mir das  „Official Video Adel Tawil — Weinen“  ungefähr 100-mal täglich in einer Dauerschleife an, weil ich dies für seine Botschaft an mich hielt. Der einzige Wermutstropfen war, dass wir physisch getrennt waren, dass ich wiederum nichts zum Angreifen hatte.

Schließlich hörte ich ihn nur mehr sehr selten, nur dann wenn ich mich an ihn wandte.

Natürlich fühlte ich mich erneut isoliert, ich dachte, meine Traumwelt, die sehr viel mit der pathetischen Stimmung aus den Filmen zu tun hatte, würde es in der Realität nicht geben, dass ich mich entscheiden müsste zwischen Realität und Traum. Ich war immer hin- und hergerissen und das über ein Jahrzehnt.

 

Im Folgenden habe ich vor einigen Jahren ein Gedicht geschrieben, in dem ich die hochdramatischen, intensiven Gefühle und Themen beschreibe, die mich immer beschäftigten. Und zwar habe ich aus Filmen und Liedern Phrasen und Sätze, die mir viel bedeutet haben mit eigenen Gedanken kombiniert und in Gedichtform gebracht.

Good-bye movie- and song dreamworld!

Losing my imaginary lover (David, the voice!) is like losing a part of me.

I thought, nothing could change the way, we felt about each other, I thought,

we were invincible.

 

All the last years

I felt dreamy, soft and gentle,

crying lonely, desperate tears,

searching for my human gender.

 

Slowly the mermaid role disappears,

I will turn my hands up and surrender

in the blowing white dress Marilyn wears

as Hollywood goddess and overwhelmingly

sensuous star wonder.

Currently addicted to have an effect on people,

to be totally charming- truly, madly, deeply.

 

Once I was wannabe Mrs. Robin Hood,

holding out for a hero,

wishing to be saved, loved, believed in and understood,

being Marian, freed from forensic prison.

Having felt there like the last unicorn,

surrounded by killers, monsters and crime,

putting the Magician of Oz’es magic boots on

always saying: « It’s nowhere as beautiful as at home. »

 

Nevertheless every hour, every minute seemed to last eternally

in love dreams and war fears so intensive,

defending my own sensitivity aggressively,

isn’t it ironic, how life can be?

 

Good - bye angel prince,

thank you for having guided me with your voice,

Romeo and Juliette, they never felt this way I’ve been,

although being a voice hearer was not my own choice.

 

Hope you don’t mind

that I’ve put down in words,

how wonderful and horrible life has been

since you came into my world.

 

Come what may,

I will love and respect my way

until my dying day.

Of course I will continue to fulfill my priorities

named freedom, beauty, truth, love and peace

always knowing:  I belong to me!

I’m my own saviour, my own hero, a bright person indeed.

 

So now the dream of being a perfect princess dies,

I’m not snow-white any longer,

I’m no fairy tale figure, I am getting alive,

but the memory of my psychotic magic land

will always survive

and will make me stronger.

 

So hello reality, hello everybody,

one thousand kisses and bye- bye! 

Mittlerweile weiß ich, dass ich beide Welten haben kann und dass meine Träume in der Realität erfüllt werden können, dass ich mich von nichts verabschieden muss, dass keine inneren Bilder oder Stimmen sterben müssen. Und wenn ich eine Meerjungfrau, Cinderella oder ein Schneewittchen sein möchte, ist das auch o.k. und sehr schön. Von jemandem oder etwas zu träumen kann ebenso sehr gemütserhellend sein, es versüßt mir ab und zu meinen Alltag und bringt unter anderem schwungvolle, lustvolle Leichtigkeit in mein Leben.

Ich bin dabei, aus dem Drama auszusteigen und die Dinge wertfrei zu betrachten, es ist ein längerer Prozess, aber ich glaube immer noch an die Liebe. Nach allem, was mir widerfahren ist. Denn ich bin eine Frau, die immer alles für die Liebe getan hat, alles ihr geopfert hat.

Auch wenn noch nicht alles perfekt ist, ich bin glücklich und ich wünsche dieses Glück euch allen. Und denkt daran: Jeder ist vollständig, heil und ganz in seiner Werthaftigkeit und Kostbarkeit und in leuchtendem Strahlen durch sich selbst!

 

Namaste

 

Barbara

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